Melissa Pawelski

Begriffliche Herausforderungen bei der deutschen und englischen Übersetzung des Werkes Surveiller et punir. Naissance de la prison (1975) von Michel Foucault

Das wohl bekannteste Werk des französischen Philosophen Michel Foucault (1926–1986) wurde nur zwei Jahre nach seinem Erscheinen bei dem Verleger Gallimard in Paris sowohl ins Deutsche als auch ins Englische übersetzt. Der österreichische Intellektuelle und spätere Professor für Philosophie Walter Seitter legte dem Verleger Suhrkamp in Frankfurt die deutsche Version Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Foucault, 1977a) vor und der britische Schriftsteller und Übersetzer Alan Sheridan fertigte die englische Übersetzung unter dem Titel Discipline and Punish. The Birth of the Prison (Foucault, 1977b) für den Verlag Penguin in London an. Walter Seitter und Alan Sheridan haben mit diesen Übersetzungen maßgeblich zur Verbreitung von Foucaults Gedankengut beigetragen. Walter Seitter übersetze weitere Werke und Aufsätze von Foucault, darunter Die Geburt der Klinik (Foucault, 1973), und publizierte eine Anthologie zu Foucault, Von der Subversion des Wissens (Foucault und Seitter, 1974). Alan Sheridan ist der Autor der ersten englischsprachigen Monographie zu Foucault, Michel Foucault. The Will to Truth (Sheridan, 1980) und hat ebenso weitere Werke von Foucault übersetzt, darunter auch The Birth of the Clinic (Foucault, 1973). Seit dem Erscheinen der beiden Übersetzungen von Surveiller et punir. Naissance de la prison hat es keine weiteren Übersetzungen dieses Werkes gegeben.

Foucaults Werke werden nach wie vor gelesen, kommentiert und interpretiert, jedoch wurden Herausforderungen und Probleme der Übersetzung ins Deutsche und Englische nur selten, und wenn, dann nur zögerlich angegangen. Anglophone einführende Studien wie beispielsweise der von Paul Rabinow herausgegebene The Foucault Reader (2020), Claire O’Farrells Michel Foucault (2005) oder Lisa Downings The Cambridge Introduction to Michel Foucault (2008) erwähnen zwar zum Teil Probleme der Übersetzung, gehen jedoch nicht genauer darauf ein. Umfassende Studien zu Foucaults intellektueller Biographie, wie kürzlich von Stuart Elden vervollständigt, zeugen von der anhaltenden Faszination des Werkes des französischen Denkers: Foucault’s Last Decade (Elden, 2016), Foucault. The Birth of Power (Elden, 2017), The Early Foucault (Elden, 2021) und The Archaeology of Foucault (Elden, 2022). Im deutschsprachigen Raum sind die Werke von Axel Honneth (Kritik der Macht, 1988) und Martin Saar (Genealogie als Kritik: Geschichte und Theorie des Subjekts nach Nietzsche und Foucault, 2007) sowie deren gemeinsame Herausgabe Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption (Saar und Honneth, 2003) zu nennen.

Meine Forschungsarbeit nahm sich des Umstandes der einigermaßen unkritischen Rezeption und Lektüre von Foucaults Schriften in deutscher und englischer Übersetzung an und ging der Frage nach, inwiefern sich die deutschen und englischen Übersetzungen vom Original aber auch voneinander unterscheiden. Ziel war es anhand einer metikulösen Analyse aufzuzeigen, welche Auswirkungen bestimmte Entscheidungen in der Übersetzung auf die Lektüre und Interpretation haben. In diesem Sinne war es auch entscheidend, die Arbeit der Übersetzung als eine darzustellen, die keine Äquivalenz einrichten oder herrichten kann, sondern bereits als eine Interpretation zu verstehen ist. Zu diesem Zweck kommt Barbara Cassins Philosophie des Unübersetzbaren zur Hilfe (Cassin, 2004, 2016), um sowohl die Einzigartigkeit als auch die unterschiedlichen Treffpunkte verschiedener Ideen in der intellektuellen und vielsprachigen Sphäre um Foucault in den 1970er Jahren nachzuzeichnen. Es ist dieses Netzwerk, in dem Ideen aufeinandertreffen und sich weiterentwickeln, welches die größte Herausforderung für den Übersetzer darstellt. Es kann nicht in seiner Ganzheit in eine andere Sprache über-setzt oder über-tragen werden. Wohl aber kann man dieses Netzwerk untersuchen und ihm in Studien wie meiner eine Gestalt geben.

Aufbau der Studie

Die Studie folgt in ihrem Aufbau der argumentativen Struktur in Surveiller et punir. Das heißt, dass ich eine bestimmte Gruppe an zentralen Begriffen in ihrer Übersetzung genauer untersuche. Zu Beginn geht es um das grausame Spektakel des supplice. Es handelt sich um die öffentliche Hinrichtung vor der französischen Revolution, häufig ausgeführt als Vierteilung (von Dülmen, 1995). Die englische Übersetzung „torture“ sowie die deutsche Übersetzung „Marter“ betonen die Grausamkeit dieser Prozedur, deren Maß an öffentlich ausgetragener Gewaltsamkeit mit Hilfe von christlicher Symbolik und göttlichem Regierungsanspruch legitmiert wurde. Anschließend analysiere ich den Begriff le corps, also des Körpers, und gehe insbesondere auf den Einfluss der Philosophie Friedrich Nietzsches ein, der das mittelhochdeutsche Wort „Leib“ in seinen Schriften privilegiert und bewusst im Rahmen seiner Kritik an christlichen und rationalistischen Philosophien nutzt. Ein weiterer wichtiger Begriff – der oft und schnell mit Foucault verbunden wird – ist dann le pouvoir, also der Macht. Hier stellt sich die Frage – und besonders in Bezug auf Surveiller et punir – inwiefern le pouvoir mit dem Wort „Gewalt“ zu übersetzen ist, was wiederum sowohl auf Englisch und Französisch die Frage der violence/„violence“ aufwirft. Im letzten Teil des Projektes habe ich dann den Begriff der surveillance, welche ja im Titel des Buches von Foucault steckt, untersucht, inbesondere im Vergleich zu deutschen Wörtern wie „Überwachung“ und „Beaufsichtigung“. Mein Versuch war es herauszuarbeiten, inwiefern Foucaults Verständnis der surveillance sich von anderen abhebt und welche Aspekte es eigentlich problematisiert. Die Frage der surveillance habe ich dann ausgeweitet auf den politischen Kontext in Frankreich der 1960er und 1970er Jahre, um die Bedeutung des Algerienkrieges und Foucaults Aktivismus als Teil der Groupe d’information sur les prisons mit in die Analyse einzubeziehen.

Methodische Herangehensweise

Zwei Hauptstränge geben den Weg der methodischen Herangehensweise vor. Zum einen beruht sie auf der Foucaultschen Autor-Funktion, die betont, dass die machtvolle Position des Autors immer noch richtungsweisend in der Interpretation und Klassifizierung eines Werkes ist. In den Jahren 1969 und 1970 stellte Foucault in Paris und Buffalo seinen Aufsatz „Qu’est-ce qu’un auteur?“ vor, sowohl in französischer als auch englischer Sprache, als eine Antwort auf die Verkündigung des Todes des Autors in intellektuellen Kreisen um Roland Barthes. Foucault versteht darin die Funktion des Autors als ein diskursives Konstrukt, welches man in Deutungspraktiken noch nicht bereit ist zu verkennen, auch wenn er sich bekannterweise geradezu nach Namenlosigkeit, besonders für sich selbst, sehnte. Ironischerweise – so kann man Foucault vielleicht hier verstehen – verstärkt der Ausruf des Ablebens des Autors bloß umso mehr seine enigmatische Figur und Faszination.

Darüber hinaus sagt er, dass bestimmte Autoren die Funktion von fondateurs de discursivité haben. Das heißt, dass sie nicht nur Autoren ihrer eigenen Werke sind, sondern die Werke anderer beeinflussen und orientieren: „Ces auteurs [ces fondateurs de discursivité] ont ceci de particulier qu’ils ne sont pas seulement les auteurs de leurs œuvres, de leurs livres. Ils ont produit quelque chose de plus: la possibilité et la règle de formation d’autres textes“ (Foucault, 2015, 1270). In literarischen Schriften, wie z.B. in Romanen, sei das besonders sichtbar in Analogien und bei anderen Ähnlichkeiten, les ressemblances. Aber es gebe gemäß Foucault, auch Werke von Autoren, die einen Anspruch auf scientificité, auf Wissenschaftlichkeit, erheben, und dabei entsteht in der klassifikatorischen Funktion des Autors ein Feld für Unterscheidungen in den Bezügen, die die Autoren auf die Werke anderer nehmen. Diese Bezüge und Unterscheidungen werden dann zu Streitigkeiten, aber das Wichtige ist, dass der Bezug bestehen bleibt und sogar bestehen bleiben muss, insbesondere im Feld von akademischen Disziplinen. In der disziplinarischen Entwicklung eines Feldes wird damit eine bestimmte Schrift als fundierend für ihren Diskurs angesehen. Damit macht Foucault klar, dass der Bezug auf vergangene Abhandlungen gleichwohl in geisteswissenschaftlichen und philosophischen Bereichen bestehen bleibt. Mich hat diese überzeugende Analyse dazu veranlasst, regelmäßig auch Bezug auf andere Schriften von Foucault zu nehmen, um Surveiller et punir in diesen Feldern einzuordnen und mich mit den Einflüssen anderer Denker auf Foucault auseinanderzusetzen. Die Frage, die sich dann stellt, ist: Wenn man das diskursive und mehrsprachige Netzwerk besser versteht, in dem Foucault sich bewegte, kann dies Aufschluss über die Schwierigkeiten der Übersetzung seines Werkes geben?

Zum anderen wird meine Studie philosophisch getragen vom Werk der Französin Barbara Cassin, die die Vielfalt der Sprachen und ihr philosophisches Vokabular zum Anlass nimmt, universellen Deutungsbemühungen zu widersprechen (Cassin, 2004, 2016). Das heißt, dass das Übersetzen keine Wort-für-Wort-Ersetzung erlaubt. Diese Position ermöglicht es, den Fokus auf die sprachliche Instabilität zu legen, sowohl innerhalb einer jeden Sprache selbst, als auch zwischen den Sprachen. Aufgabe ist es also, die Mehrzahl an Auswahlmöglichkeiten sichtbar zu machen, unter Anbetracht von Kriterien der Lesbarkeit und des Verständnisses vor allem in Bezug auf die Frage nach den Unterschieden zwischen einer terminologisch spezifischen Sprache des philosophischen Denkens und der Nutzung alltäglicher Begrifflichkeiten. Im Mittelpunkt von Cassins Philosophie steht die Unübersetzbarkeit, oder genauer gesagt, in ihren Worten, des Unübersetzbaren:

C’est plutôt ce qu’on ne cesse pas de (ne pas) traduire. Mais cela signale que leur traduction, dans une langue ou dans une autre, fait problème, au point de susciter parfois un néologisme ou l’imposition d’un nouveau sens sur un vieux mot: c’est un indice de la manière dont, d’une langue à une autre, tant les mots que les réseaux conceptuels ne sont pas superposables (Cassin, 2004, xvii–xviii).

Es scheint häufig der Fall zu sein, dass sich die Begriffe der Übersetzbarkeit und der Unübersetzbarkeit gegenüberstehen und fast schon gegenteilig verstanden werden müssen, so suggeriert doch ihre Zustimmung oder Ablehnung die – vermeintlich – vollkommene Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Übersetzbarkeit. Jedoch scheint es, als habe Cassins Denkweise das Verdienst, zu statuieren, dass begriffliche Netzwerke nicht vollständig zu übersetzen seien – wie oben bereits erwähnt – und das Unübersetzbare gerade in der Unvollständigkeit dieser Netzwerke liege. Es geht also nicht unbedingt darum, die Eigenschaft des Unübersetzbaren zu exotisieren (Scott, 2016), damit man sie ein für alle Mal in einem Deutungsrahmen arretiert. Vielmehr tritt damit die Wichtigkeit und Singularität eines jeden Denkers oder einer jeden Denkerin hervor, die sich als Philosophierende bezeichnen können:

Sobald ein Mensch philosophisch tätig ist – sprechend oder schreibend –, kommt bei ihm mindestens noch ein anderes, denkendes Individuum vor oder ist ihm vielmehr schon zuvorgekommen, bei ihm vorbeigekommen. Denn das Attribut ‚philosophisch‘ impliziert eine Allgemeinheit oder ein breit gestreutes Kollektiv, zu dem alle Philosophierenden gehören: Individuen von Thales bis zu Heidegger, von Asien bis Deutschland; von Pythagoras bis Popper, vom 5. Jahrhundert vor Christus bis zum 21. Jahrhundert nach Christus; von Aristoteles bis Arendt, männliche und weibliche. Immer muss irgendein Philosoph oder eine Philosophin oder sonst etwas Philosophisches angesteckt haben, damit dieser oder diese ‚jemand‘ mit dem Attribut „philosophisch“ markiert werden kann (Seitter, 2009, 15).

Es geht um das Nachvollziehen und Umreißen eines jeden vielsprachigen und intellektuellen Lebensweges, der sich durch das Stimmengewirr der philosophischen Diskurse hinweg seinen Weg bahnt und dabei neue Begriffe und Interpretationen formt. Im Folgenden möchte ich auf drei dieser Begriffe eingehen: le corps, le pouvoir und la surveillance.

Behandelte Begriffe

Begonnen habe ich mit dem Begriff le corps („Körper“, „body“). Walter Seitter hat sowohl Surveiller et punir als auch einen anderen Aufsatz von Foucault ins Deutsche übertragen: „Nietzsche, la généalogie, l’histoire“ (Foucault, 2015, 1281–1304). In diesem Aufsatz geht es um Nietzsche und die Methode in der Foucaultschen Geschichtsschreibung „Genealogie“, die zum großen Teil von Nietzsche inspiriert ist. Hier also wendet sich Foucault dem Begriff des Körpers zu, le corps. Es ist auffällig, dass Walter Seitter in diesem Aufsatz fast ausschließlich le corps mit „Leib“ übersetzt, dem mittelhochdeutschen Begriff für den Körper, der im Deutschen an bestimmte Ausdrücke und Redensarten gebunden ist (zum Beispiel Begriffe wie „Mutterleib“, „Unterleib“, „Leibeskraft“, „Leibarzt“ usw., die alle die Le(i)bhaftigkeit und die körperliche Intimität betonen). So schreibt Foucault: „Le corps: surface d’inscription des événements (alors que le langage les marque et les idées les dissolvent), lieu de dissociation du Moi (auquel il essaie de prêter la chimère d’une unité substantielle), volume en perpétuel effritement“ (Foucault, 2015, 1288). Dies wird wie folgt von Seitter übersetzt: „Dem Leib prägen sich die Ereignisse ein (während die Sprache sie notiert und die Ideen sie auflösen). Am Leib löst sich das Ich auf (das sich eine substantielle Einheit vorgaukeln möchte). Er ist eine Masse, die ständig abbröckelt“ (Foucault, 1974, 91–92). Mit dieser Interpretation des Körpers, bzw. des Leibes, scheint Foucault zunächst eine Art der sichtbaren Materialität zu betonen: Der menschliche Körper wird in seinem Aussehen, seiner Haltung und seiner Verfassung vom politischen System markiert und geformt. Ein gutes Beispiel aus Surveiller et punir sind die gelehrigen Körper (les corps dociles), die Körper des Soldaten, bei denen geradezu maschinell alle Körperfunktionen minutiös aufeinander abgestimmt sind. Diese sichtbare Materialität hat insofern Wert für den Historiker, weil sie greifbarer ist als die Immaterialität der Sprache und Ideen. Weiterhin notiert Foucault in diesem Zitat, dass der Körper die Stelle ist, an der sich die Einheit des Selbst auflöst, oder sich zumindest hinterfragen lässt. Traditionell ist der Körper mit seinen Sinnen in der Philosophie, allen voran vielleicht in den cartesianischen Meditationen, ein Element, dem zu misstrauen und das es zu beherrschen gilt, welches aber dennoch, zusammen mit dem Geist und der Seele, Teil der Erfahrung der Welt sein muss. Foucault versteht die vermeintliche Einheit nicht als eine philosophische Wahrheit, die es zu überprüfen gilt, sondern als einen geschichtlichen Umstand, in dem es Änderungen gab. Letztlich erscheint der Körper in Foucaults Verständnis noch als ein Ort der Rebellion und des Widerstandes: Sobald eine bestimmte Macht über den Körper ausgeübt wird oder werden soll, ist er in der Lage, sich zu wehren oder zumindest das Leid dieser Herrschaft sichtbar zu machen, beispielsweise durch Krankheiten oder andere Unfähigkeiten.

In Surveiller et punir hingegen wird le corps, mit ein paar wenigen Ausnahmen, von Seitter nur mit „Körper“ übersetzt. So schreibt Foucault über die unmittelbar voranschreitenden Gefängnisrevolten in Frankreich, Italien und den USA in den 1970er Jahren:

C’étaient des révoltes contre toute une misère physique qui date de plus dʼun siècle: contre le froid, contre l’étouffement et l’entassement, contre des murs vétustes, contre la faim, contre les coups. Mais c’étaient aussi des révoltes contre l’isolement, contre le service médical ou éducatif. Révoltes dont les objectifs n’étaient que matériels? Révoltes contradictoires, contre la déchéance, mais contre le confort, contre les gardiens, mais contre les psychiatres? En fait c’était bien des corps et des choses matérielles qu’il était question dans tous ces mouvements, comme il en est question dans ces innombrables discours que la prison a produits depuis le début du XIXe siècle. Ce qui a porté ces discours et ces révoltes, ces souvenirs et ces invectives, ce sont bien ces petites, ces infimes matérialités. Libre à qui voudra de n’y voir que des revendications aveugles ou d’y soupçonner des stratégies étrangères. Il s’agissait bien d’une révolte, au niveau des corps, contre le corps même de la prison (Foucault, 2015, 291–292).

Hier die Übersetzung von Seitter:

Es waren Revolten gegen ein physisches Elend, das seit über einem Jahrhundert andauert: gegen die Kälte, gegen das Ersticken, gegen die Überfüllung, gegen die alten abgenutzten Mauern, gegen den Hunger, gegen die Schläge. Es waren aber auch Revolten gegen die Mustergefängnisse, gegen die Tranquilizers, gegen die Isolierung, gegen die medizinische oder pädagogische Betreuung. Hatten die Revolten nur materielle Ziele? Waren die Revolten widersprüchlich: gegen das Elend – aber auch gegen den Komfort, gegen die Aufseher – aber auch gegen die Psychiater? Tatsächlich ging es um die Körper und um materielle Dinge in all diesen Bewegungen, ebenso wie in den zahllosen Diskursen, die das Gefängnis seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Wovon diese Diskurse und diese Revolten, diese Erinnerungen und diese Schmähungen gelebt haben, waren gewiß diese kleinen, diese winzigen Materialitäten. Man mag darin nur blinde Forderungen oder von außen gelenkte Strategien sehen. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Revolte auf der Ebene der Körper gegen den Körper des Gefängnisses (Foucault, 1977b, 42–43).

Meines Erachtens übernimmt Foucault von Nietzsche die fast polemische Ablehnung oder zumindest Infragestellung rationalistischer und christlicher Philosophien. Schreibt doch Nietzsche beispielsweise im Vorwort der Fröhlichen Wissenschaft: „[Die] Philosophie [ist] bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und ein Missverständnis des Leibes gewesen“ (Nietzsche, 2000, 10). Es scheint, als nehme Foucault Nietzsches Leibesbegriff auf und entwickle ihn weiter in seiner Darstellung innerhalb der Disziplinarmacht mit der Herausbildung eines normativen Erscheinungsbildes dieses Körpers, oder dieses Leibes, und seines Verhaltens. Heißt dies nun, dass der Begriff „Leib“ in der deutschen Übersetzung von Foucault benutzt werden sollte? Walter Seitter hat dies getan in dem Aufsatz, in dem es explizit um Nietzsche geht. Allerdings ist die Geschichte über die Geburt des Gefängnisses vielleicht auch eine Geschichte der Entfremdung unserer Körper. Foucault hat vor allem in späteren Jahren den Begriff der Biopolitik geprägt, worin der „Leib“ wohl Resonanz findet, sofern man ihn als eine Betonung der Eingriffe in das Alltagsleben und die Steuerung der Intimität seines eigenen Leibes versteht. Auch wenn also vielleicht der Beriff „Leib“ nicht unbedingt sprachlich passend ist, so kann man dennoch von einer Art Anwesenheit des nietzscheanischen Verständnisses des Leibes bei Foucault sprechen. In der englischen Übersetzung wird dieser Umstand, und vor allem der Unterschied zwischen Körper und Leib kaum deutlich (es bleibt bei der Übersetzung von le corps als „body“) und man braucht deshalb diese linguistische Exkursion ins Deutsche, um Foucaults Denkweise und seine Bezüge auf deutschsprachige Philosophien besser nachzeichnen zu können.

Während der Begriff des Körpers/Leibes bei Foucault die Frage der Materialität und einer gewissen körperlichen Spürbarkeit stellt, lässt Foucaults Begriff der Macht, le pouvoir, auch andere abstraktere Theorisierungen zu. Die Untersuchung des Begriffes pouvoir beruht auf dem Umstand, dass Walter Seitter adjektivale Variationen wie zum Beispiel le pouvoir disciplinaire oder le pouvoir punitif/le pouvoir de punir überwiegend als „Disziplinargewalt“ und „Strafgewalt“ übersetzt. Welchen Stellenwert hat aber „die Gewalt“ bei Foucault? Für meine Untersuchung war auch die englische Sprache und Übersetzung wichtig. Der deutsche Begriff „Gewalt“ kann im Englischen sowohl als „power“ als auch als „violence“ verstanden werden. Doch meistens wird „Gewalt“ in seiner Bedeutung von „Gewaltsamkeit“ oder „Gewalttätigkeit“ – also „violence“ – verstanden. Weil nun auch Walter Seitter das Wort „Gewalt“ (zu) häufig benutzt, musste an dieser Stelle erörtert werden, inwiefern Foucaults als ein Theoretiker der Gewalt bzw. Gewaltsamkeit innerhalb der Disziplinarmacht und ihren Mechanismen gedeutet werden kann. Für diese Fragestellung habe ich Foucaults Übersetzung von Immanuel Kants Anthropologie aus pragmatischer Hinsicht (1798) zu Rate gezogen, Anthropologie d’un point de vue pragmatique, wovon die ausführliche Einleitung von Foucault erst seit 2006 erhältlich ist (Kant, 2006). Die Übersetzung, die Foucault als Teil seiner Doktorarbeit Ende der 1950er zur Einreichung im Jahr 1960 anfertigte, bietet interessante Anhaltspunkte. In Kants anthropologischer Abhandlung findet sich der Ausdruck für ein Verhaltensprinzip: „sich in seiner Gewalt haben“, im Lateinischen animus sui compos. Foucault übersetzt dies mit „avoir en son pouvoir“, „avoir sous son contrôle“ oder „maîtriser“. Bei der Lektüre dieser Übersetzung wurde also klar, dass Foucault nicht etwa den gewaltsamen Aspekt dieser Verhaltenskontrolle in den Vordergrund stellt. Wenn Foucault schreibt: „Le pouvoir disciplinaire en effet est un pouvoir qui, au lieu de soutirer et de prélever, a pour fonction majeure de ,dresserʻ; ou sans doute, de dresser pour mieux prélever et soutirer davantage (Foucault, 2015, 444)“, ist die Übersetzung von Walter Seitter in Überwachen und Strafen fraglich: „Die Zuchtgewalt ist in der Tat eine Macht, die anstatt zu entziehen und zu entnehmen, vor allem aufrichtet, herrichtet, zurichtet – um dann allerdings um so mehr entziehen und entnehmen zu können“ (Foucault, 1977b, 220). Überhaupt stellt Foucault die Frage nach der Gewalt, also der Gewaltsamkeit, in den Hintergrund. So ist die Form der Unterwerfung, der Foucault in den modernen und zeitgenössischen Bestrafungspraktiken nachgeht, nicht von Gewalt bestimmt:

Cet assujettissement n’est pas obtenu par les seuls instruments soit de la violence soit de l’idéologie; il peut très bien être direct, physique, jouer de la force contre la force, porter sur des éléments matériels, et pourtant ne pas être violent; il peut être calculé, organisé, techniquement réfléchi, il peut être subtil, ne faire usage ni des armes ni de la terreur, et pourtant rester de l’ordre physique (Foucault, 2015, 287).

Und dies wird von Walter Seitter wie folgt übersetzt:

Diese Unterwerfung wird aber nicht allein durch Instrumente der Gewalt oder der Ideologie erreicht; sie kann sehr wohl direkt und physisch sein, Kraft gegen Kraft ausspielen, materielle Elemente einbeziehen und gleichwohl auf Gewaltsamkeit verzichten; sie kann kalkuliert, organisiert, technisch durchdacht, subtil sein, weder Waffen noch Terror gebrauchen und gleichwohl physischer Natur sein (Foucault, 1977b, 37).

Die Begriffe Gewalt und Gewaltsamkeit verschränken sich und werden unscharf, obwohl es Foucault um eine relativ genaue Abgrenzung offensichtlich ging. Foucault betont die Mechanismen einer Macht ganz im Sinne des französischen Modalverbs pouvoir, „können“, „fähig sein“. Es handelt sich um ein Potential, eine Möglichkeit, eine Kraft, ein Produkt und ein Vermögen, was also nicht negativ-repressiv ausgelegt ist, sondern positiv-produktiv.

Im Rahmen der Entwicklung des Potentials der Disziplinarmacht, oder le pouvoir disciplinaire, ist noch der Begriff la surveillance zu nennen, der insbesondere im Hinblick auf das im Englischen geläufige französische Lehnwort „surveillance“ aufkommt. Anfänglich ging es mir also darum aufzuzeigen, dass la surveillance und „surveillance“ nicht die gleiche Art der Erfahrung beim Leser hervorrufen. Hauptgrund für diese Argumentation ist die Rolle der maschinellen Automatisierung und Computertechnologien in Überwachungsprozessen, bei denen das Individuum bloß Objekt der Überwachung ist und nicht als Bewacher selbst auftritt. Foucault definiert la surveillance als ein System bestehend aus mehreren regards, also Blicken im Deutschen oder „looks“ im Englischen:

La société disciplinaire, au moment de sa pleine éclosion, prend encore avec l’Empereur le vieil aspect du pouvoir de spectacle. Comme monarque à la fois usurpateur de l’ancien trône et organisateur du nouvel État, il a ramassé en une figure symbolique et dernière tout le long processus par lequel les fastes de la souveraineté, les manifestations nécessairement spectaculaires du pouvoir, se sont éteints un à un dans l’exercice quotidien de la surveillance, dans un panoptisme où la vigilance des regards entrecroisés va bientôt rendre inutile l’aigle comme le soleil (Foucault, 2015, 500).

Die Übersetzung des Wortes regard wurde bereits von Foucault problematisiert, in seinem Werk Naissance de la clinique, das den Untertitel Une archéologie du regard médical trägt. Dies ist insbesondere in der englischen Sprache interessant, da auch hier Alan Sheridan der Übersetzer ist und regard im Buchtitel mit dem Wort „perception“ (Wahrnehmung) überträgt. Die Frage der surveillance in Foucaults Surveiller et punir geht allerdings über bloße Wahrnehmung oder wissenschaftlichen Blick hinaus, denn die Disziplinarmacht beruht auf gegenseitiger Beobachtung von Individuen. Unter Anbetracht dieser Beziehung scheint auch das deutsche Wort „Überwachung“ fraglich. Foucault zitiert in einer Fußnote Karl Marx, der in französischer Übersetzung, für die Foucault den Übersetzer nicht namentlich nennt, schreibt: „Cette fonction de surveillance, de direction, et de médiation devient la fonction du capital dès que le travail qui lui est subordonné devient coopératif, et comme fonction capitaliste elle acquiert de caractères spéciaux“ (Marx in Foucault, 2015, 227). Das deutsche Original lautet wie folgt: „Diese Funktion der Leitung, Überwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird. Als spezifische Funktion des Kapitals erhält die Funktion der Leitung spezifische Charaktermerkmale“ (Marx, 2018, 298). Hier wird also das deutsche Wort „Überwachung“ mit surveillance ins Französische übersetzt. Dennoch bleibt es dabei, dass Marx von einer Form der Überwachung spricht, die aktiv nur für den Beobachtenden ist. Marx präzisiert etwas später die Form der Überwachung, die der Arbeiter über die Maschine haben soll:

Grade diesen letzten Teil des Handwerksinstruments ergreift die Industrielle Revolution zuerst und überlässt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Maschine mit seinem Auge zu überwachen und ihre Irrtümer mit seiner Hand zu verbessern, zunächst noch die rein mechanische Rolle der Triebkraft (Marx, 2018, 336).

Obwohl Foucault in Surveiller et punir das disziplinierte Individuum oftmals mit einer Maschine vergleicht – „Le corps se constitue comme une pièce d’une machine multisegmentaire“ (Foucault, 2015, 438) – steht doch das Individuum selbst mit seinem subjektiven Empfinden im Mittelpunkt dieser surveillance. Kern der Analyse der surveillance ist die Art der Beziehung, die sich nicht nur zwischen den Individuen aufbaut, sondern auch die Beziehung, die das Individuum mit sich selbst unterhält. Im Kontext des Gefängnisses ist dies insbesondere problematisch bei der Isolations- und Einzelhaft. Darüber hinaus verfestigt sich die Disziplinarmacht nicht nur durch systematische Blicke und eine Form der Beobachtung, sondern auch durch einen physischen Bezug und eine Kontrolle des Raumes, oder l’espace disciplinaire. Es handelt sich auch nicht bloß um eine technologische Ausstattung eines Raumes oder eines Sichtfeldes, sondern auch um eine Form der Beobachtung seiner Selbst – als Subjekt – was einer (leiblichen, oder einverleibten?) Verinnerlichung dieser disziplinarischen Praktiken und der Hervorbringung eines genormten Verhaltens Dienst tut. Damit kann man nun sowohl den deutschen als auch den englischen Titel des Buches problematisieren. Im Deutschen geht es vielleicht mehr um Prozesse der Bewachung (und nicht Überwachung), gesellschaftlich untereinander und gegenüber seiner selbst. Der englische Buchtitel Discipline and Punish ist zwar, wie Alan Sheridan in der Translator’s Note vermerkt, von Foucault bestätigt, jedoch geht damit die visuelle Komponente der surveillance verloren.

Bemerkungen zum Schluss

Die vorgelegte Studie zur deutschen und englischen Übersetzung von Foucaults Surveiller et punir reiht sich in die Analyse einer Art linguistischen Genealogie ein – es geht darum, Foucaults Gedankengut insofern besser zu verstehen als es sich mit anderen Sprachen und sprachlichen Begrifflichkeiten auseinandersetzt und von ihnen beeinflusst wird. In diesem Sinne kann der Frage der Begriffsbildung und ihrer Möglichkeitsbedingungen innerhalb eines philosophischen Diskurses nachgegangen werden. Begriffe – les concepts – sind die Elemente in diesem Diskurs, die die institutionell genormte Disziplin der Philosophie, so sagen es Félix Guattari und Gilles Deleuze in ihrem Qu’est-ce que la philosophie? am Leben erhalten. Dazu gehört auch, dass diese Begriffe unterzeichnet (signés) sind von jenen Denkern, die über sie nachdenken und ihnen neue Bedeutungen zusprechen innerhalb eines Netzwerkes, welches in der Tat in der Gesamtheit seiner Bezüge und Unterschiede nicht übersetzt werden kann. Abschließend kann man fragen, ob die Tätigkeit der Übersetzung nicht auch eine Form der begrifflichen Kritik sei, die zwar die Einflüsse auf und zwischen Denkern aufdecken kann, aber auch bemerken kann, welche Begriffe lediglich philosophisch „erhöht“ wurden und sich nicht wesentlich von anderen unterscheiden. In jedem Fall bleibt die Übersetzung nicht nur eng an das Philosophieren gekoppelt, sondern sie ist auch für das Fortleben des Denkens in verschiedenen Sprachen unerlässlich.  

Zitierte Werke

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Die eKGWB wird hg. von Paolo D’Iorio und veröffentlich von der Nietzsche Source <http://www.nietzschesource.org/˃.

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