Rahmenprogramm

Das Rahmenprogramm, das sich am ersten und letzten Tag sowie in den Abendstunden als komplementierendes Angebot zu der Arbeit in den Ateliers verstand, setzte sich aus Vorträgen, Podiumsdiskussionen und einer Lesung zusammen. Nach den Grußworten, die Maja Pflüger (Robert Bosch Stiftung), Christiane Schmeken (DAAD) und Falk Bretschneider (MSH) sprachen, wurde das Symposium am ersten Tag von Jean-Pierre Lefebvre eröffnet, dem diese Rolle durch sein übersetzerisches Lebenswerk der großen Klassiker der deutschsprachigen Geistesgeschichte zustand. Unter dem Titel „Traduire les oeuvres de sciences humaines est-il une ‘spécialité’?“ machte er in seinem an Einzelbeispielen ausgerichteten Vortrag die Sonderstellung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Übersetzung in Abgrenzung zur Literaturübersetzung deutlich, um im Anschluss die strukturellen und semantischen Eigenheiten dieses Felds grundsätzlicher zu erläutern. Besonderes Gewicht legte er auf den Stellenwert des Kontexts für semantisch-begriffliche Entscheidungen. Im Anschluss an diesen Eröffnungsvortrag folgte eine erste Podiumsdiskussion, die der Problematik des Übersetzens und Publizierens im digitalen Zeitalter gewidmet war. An dieser Diskussion nahmen die Redaktion von Trivium (Hinnerk Bruhns, Katrin Heydenreich, Bernd Schwibs) sowie zwei Repräsentantinnen der Internetplattform TLHUB der Société européene des auteurs et des traducteurs teil (Naomi Kaufmann, Jill McCoy). Die einzelnen Präsentationen dieser beiden sehr unterschiedlichen Formate papierlosen Publizierens trugen maßgeblich dazu bei, den „digital turn“ der Geisteswissenschaften auf inhaltlicher und verlegerischer Ebene in den Blick zu nehmen und so kontroverse Themen wie Urheberrecht und Demokratisierung von Vertriebsstrukturen unter dem Vorzeichen des aktuell sich vollziehenden Medienwechsels anzureißen. Beschlossen wurde dieser erste Tag durch eine weitere Podiumsdiskussion am Abend, die Vertretern der Verlagswelt das Wort überließ. „Mehrsprachig denken – Übersetzung, Publikation und Verbreitung der Geistes- und Sozialwissenschaften“ war das Thema dieser Gesprächsrunde, die durchaus unterschiedliche Meinungen vertrat. Während Eric Vigne (Gallimard) und Olivier Mannoni (CNL/ETL) das eher fatalistische Bild einer untergehenden Verlagslandschaft zeichneten, der es zunehmend an Lesern und finanziellen Ressourcen mangele, affirmierte Anne Madelain (Editions de l’EHESS) ganz im Gegenteil die neuen Möglichkeiten digitalen Publizierens, die es ermöglicht hätten, die Frage nach dem Potenzial und den Vertriebsstrukturen der Übersetzung ganz neu zu stellen. Ebenfalls geladen war Philipp Hölzing (Suhrkamp), der die deutsche Perspektive hätte vertreten sollen. Leider musste Herr Hölzing krankheitsbedingt seine Teilnahme sehr kurzfristig absagen. Beide Podiumsdiskussionen wurden von Franziska Humphreys (FMSH) moderiert. Dank der großzügigen Gastfreundschaft und Bewirtung des DAAD konnte der Abend bei sommerlichem Wetter auf angenehme Weise ausklingen.

Auch am zweiten Abend waren die Teilnehmer des Symposiums eingeladen, sich nach der intensiven Arbeit in den Ateliers zu einem kleinen Cocktail im Foyer der FMSH einzufinden, um dann gemeinsam zu einer Lesung in der Maison de la poésie aufzubrechen. In diesem kleinen Theater las Brice Matthieussent aus seinem Werk „La vengeance du traducteur“, welches das häufig konflikthafte Verhältnis zwischen einem Übersetzer und dem Autor des Originals in Szene setzt. Hervorragend moderiert wurde diese Lesung, die zugleich ein frei assoziierendes Gespräch über das Übersetzen literarischer und geistes- bzw. sozialwissenschaftlicher Werke war, von Stephanie Schwerter, der ehemaligen Leiterin des deutsch-französischen Übersetzungsprogramms der MSH, die ursprünglich den Anstoß zu diesem Symposium gegeben hatte und heute eine Professur für Anglistik an der Universität von Valenciennes bekleidet.

Am dritten und letzten Tag des Symposiums lieferte Gisèle Sapiro (EHESS) eine soziologische Perspektive auf die aktuelle Übersetzungslandschaft, bevor eine Abschlussdiskussion das Symposium beschloss. Unter dem Titel „Traduire les sciences humaines: conditions et obstacles“ legte Gisèle Sapiro eine eindrucksvolle Analyse der Marktmechanismen sowie der gesellschaftlichen und universitären Machtstrukturen vor, die an der Selektion, Restriktion und Realisierung von Übersetzungsprojekten mitwirken. Die von Sapiro entwickelte Soziologie literarischer Produktionsprozesse war gewiss eine wertvolle Ergänzung dieses Symposiums. Wünschenswert wäre allerdings eine noch stärkere Fokussierung auf die Spezifizität des deutsch-französischen Feldes gewesen. Für die Abschlussdiskussion wurde jeweils ein Vertreter jeden Ateliers auf das Podium gebeten, um ein Resümee der Themen und Methoden „seines“ Ateliers vorzustellen und so der Gesamtheit der Teilnehmer zugängig zu machen ( siehe Protokolle). In der angeregten abschließenden Diskussion wurde intensiv über Aspekte der Ausbildung von Übersetzern debattiert und auf Fehlstellen hingewiesen, die das Symposium in seiner konzeptuellen Ausrichtung abdecken könnte.

Ateliers

Der zweite Tag des Symposiums war ganz der Arbeit in Ateliers gewidmet. Die Teilnehmer teilten sich hierfür am Vor- und Nachmittag in drei verschiedene Gruppen auf, die jeweils etwa 7 Personen umfassten. Das Atelier „Welche Hermeneutik für die Übersetzung?“ war sicherlich in seiner Herangehensweise das philosophischste. Marc de Launay referierte darin die großen Übersetzungstheorien und lud die Teilnehmer zum Nachdenken über das hermeneutische Potenzial der Übersetzung ein. Die drei zentralen thematischen Achsen formulierten sich um die Begriffe der Texttreue, der Historizität von Texten sowie um das Begriffspaar Alterität/Identität. Hauptthese dieses Ateliers war diejenige der „hermeneutischen Illusion“ der Übersetzung, die an einen im Text festgeschriebenen Sinn glauben lässt, denn es jedoch de facto nicht gibt. Der Übersetzer als „punktueller Virtuose“ kann immer nur momenthafte Lösungen schaffen, ist doch der Prozess der Übersetzung unabschließbar und idealerweise permanent zu wiederholen.

Das zweite Atelier wurde von Pierre Rusch in Zusammenarbeit mit Bernd Schwibs geleitet. Die leitende Fragestellung dieses Ateliers lautete „Instanzen des Wissens – Wie Übersetzungen kritisieren?“. Der Referenztext dieses Ateliers war Karl Mannheims „Ideologie und Utopie“ in seinen verschiedenen Übersetzungen, von denen im Übrigen eine im Rahmen des Übersetzungsprogramms der FMSH entstanden ist. Die Texte waren den Teilnehmern im Vorfeld zugeschickt worden, um eine intensive Arbeit am Text möglich zu machen. Ein Übersetzer geisteswissenschaftlicher Texte steht häufig vielfältigen inhaltlichen Fragestellungen gegenüber, die ihm ein breites Kompetenzspektrum abverlangen. Über konkrete Fragen eines spezifischen Fachvokabulars hinaus muss der Übersetzer permanent seinen eigenen Wissenshorizont interdisziplinär erweitern, um dem Original gerecht werden zu können. Dabei kann sich das Verhältnis zu dem Autor eines Textes, der als Autorität über den Inhalt seines Werks wacht, produktiv, aber auch hemmend auf die Übersetzungsarbeit auswirken. Welche Strategien kann es geben, um mit den Grenzen und Lücken des eigenen Wissens umgehen und welche fachliche Verantwortung trägt der Übersetzer für seinen Text, der ihm doch nie ganz gehört?

Im Gegensatz dazu wurde die Thematik von Atelier 3 „Zum Problem der Unübersetzbarkeit“ im freien Gespräch erarbeitet. Dieter Hornig entwickelte seinen Vortrag anhand konkreter Beispiele und ließ dabei hinreichend Platz für die Diskussion der Arbeitsproben der teilnehmenden Übersetzer. Inhaltlicher Ausgangspunkt dieses Ateliers war folgende Überlegung: Jede Übersetzung kreist immer auch um ihr eigenes Misslingen. Bestimmte Begriffe, syntaktische Wendungen oder semantische Doppeldeutigkeiten, die in der Zielsprache nicht in identischer Weise wiedergegeben werden können, binden den Übersetzer in einen unabschließbaren Prozess des Verschiebens, Umschreibens und Interpretierens von Worten und Sätzen ein. Im Transfer zwischen den Sprachen geht notwendig immer etwas verloren, doch ist dieser Verlust womöglich zugleich der eigentliche Gewinn einer Übersetzung: Inwiefern bilden gerade die vermeintlich unübersetzbaren Elemente eines Textes das kreative Potenzial seiner Übersetzung?

Am Nachmittag folgte dann das Atelier „Übersetzen zwischen deutscher und französischer Sprache“ unter der Leitung von Joseph Winiger. Insbesondere geisteswissenschaftliche Übersetzungen stehen notwendig in einem gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Kontext, der ihnen vorausgeht und von dem sie nicht losgelöst werden können. Von der Entscheidung für die Übersetzung eines bestimmten Werks bis hin zu ihrer Publikation in einem bestimmten verlegerischen Umfeld — die Übersetzungsarbeit ist Teil eines gesellschaftlich-kulturellen Prozesses, in dem immer auch landesspezifische Wertesysteme interpretiert und übertragen werden. Welche politische Dimension hatten und haben geisteswissenschaftliche Übersetzungen und inwiefern stiften sie eigene Diskursrealitäten im deutsch- und französischsprachigen Raum? Diesen Fragen gingen die Teilnehmer dieses Ateliers in konkreten Textstudien nach. Auch dieses Atelier war im Vorfeld durch die Zusendung von Textvorlagen vorbereitet worden, die die Teilnehmer zu übersetzen hatten. In der anschließenden Diskussion konnten so auf der Grundlage konkreter Beispiele und unter Einbeziehung aller Beteiligten die Eigenheiten der deutschen und französischen Sprache und ihrer jeweiligen Übertragung problematisiert werden.

Vincent von Wroblewsky stellte Beispiele und Episoden seiner eigenen Übersetzertätigkeit in den Mittelpunkt seines Ateliers „Der Einfluss der Übersetzung auf die Wissenslandschaft“. Auch in diesem Atelier ging es vorwiegend um eine freien, lockeren Austausch über Problemstellungen, die den Teilnehmern aus eigener Erfahrung geläufig waren. Übersetzungen von Texten, die in einem bestimmten Sprachraum bislang unbekannt waren, führen häufig zu maßgeblichen Veränderungen in der Wissenslandschaft ihrer Zielsprache. Aber auch Neuübersetzungen bereits bekannter Texte können bestehende geisteswissenschaftliche Disziplinen grundsätzlich in Frage stellen, indem sie zentrale Begriffe und Theoreme einer tiefgreifenden Revision unterziehen. Wie prägen geisteswissenschaftliche Übersetzungen das Denken ihrer Zeit und welchen Einfluss haben sie auf die Erzeugung neuen und die Überarbeitung bestehenden Wissens?

Den Übersetzern mit noch geringer Publikationserfahrung, die auch an allen öffentlichen Veranstaltungen wie den Vorträgen und Diskussionsrunden sowie an den Ateliers teilnahmen, stand ein eigens für sie gestaltetes Atelier unter der Leitung von Bernard Banoun offen. Wesentliche Themen dieses Ateliers waren Arbeitsbedingungen angehender Übersetzer (Kranken- und Sozialversicherung, Arbeitsplatz, Arbeitsmittel etc.), Kontaktaufnahme und Arbeitsbeziehung zu den Verlagen, Finanzierungsmöglichkeiten von Übersetzungsprojekten, Gestaltung von Arbeitsverträgen, Netzwerkbildung und Ethik der übersetzerischen Tätigkeit.